Wurzen a(n) d(er) Mulde mit Hohburger Schweiz
Kunstverlag Carl Drechsler: Leipzig-Stötteritz um 1917
Chromolithographie
H 88 mm x B 139 mm
Ohne Briefmarke, Zustand durch Lochungen beeinträchtigt
Inv.-Nr. V1505K
Die in Leipzig verlegte farbige Ansichtskarte mit beschriebener, geteilter Adressseite, wirbt mit ihrer Illustration, einem detailreichen Stadtpanorama in hellen, freundlichen Farben, für die am Fluss Mulde gelegenen Stadt Wurzen. Im Gegensatz zur dokumentarischen Fotografie konnte mit dem künstlerischen Druckverfahren der Farblithographie Realität konstruiert und wie bei diesem Panorama idealisiert werden. An einem 23. Juni in Thammenhain geschrieben und an "Herrn Baron / Ferdinand von Schönberg / Bürgerstraße 25 / Dresden" adressiert, werden anhand der Illustration die wirtschaftlichen und touristischen Merkmale der offensichtlich landschaftlich reizvoll gelegenen Stadt betont, wodurch ein positives Stadtimage verbreitet wurde. Ausgewählt wurde der attraktive Blick von der Muldeseite auf die Stadtsilhouette. Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass an den jeweiligen seitlichen Bildrändern die beiden wichtigen Brücken der Stadt zu sehen sind: die Muldebrücke (links, seit 1830) und die Eisenbahnbrücke (rechts, seit 1838), Zeichen der verkehrstechnischen Erschließung der boomenden Industriestadt, sowohl für den Personen-, als auch den Güterverkehr.
Als alles überragende Wahrzeichen der Stadt sind das Turmensemble von Schloss und Dom sowie der wehrhaft wirkende Turm der Stadtkirche St. Wenceslai zu sehen. Im Hintergrund bemerkt der aufmerksame Betrachter des Weiteren den Kirchturm des jüngsten Wurzener Kirchenbaus, der katholischen Herz-Jesu-Kirche, die mit der Förderung unter anderen des Mannes gebaut werden konnte, an den diese Postkarte gerichtet ist. Erstmals ist Freiherr Ferdinand von Schönberg (1864-1927) unter der oben angeführten Adresse 1917 im Adressbuch der Stadt Dresden als "Ferdinand Caspar Adolf Dam Freiherr, Königlicher Kammerherr, Rittergutsbesitzer" gelistet. Im gleichen Jahr (im Oktober) brannte die hier in unmittelbarer Nähe der Fabrikantenvilla Krietsch befindliche Stadtmühle am Mühlgraben ab, an deren Stelle später (1917-1925) die Mühlenneubauten der Wurzener Kunstmühlenwerke und Biscuitfabriken vorm. F. Krietsch AG mit ihren bis heute imposant wirkenden Mühlentürmen nach dem Entwurf des Leipziger Industriearchitekten Max Fricke (1874-1934) errichtet wurden. Zahlreiche Fabrikschornsteine, die zuletzt den Höchststand von etwa um die vierzig erreicht haben, dokumentieren den Wandel vom Ackerbürgerstädtchen zur Industriestadt.
Von der touristischen Qualität der Stadt, die insbesondere Leipziger Einwohner mit dem schnell von Wurzen aus erreichbaren Ausflugsziel der "Hohburger Schweiz" lockt, zeugen die im Hintergrund der Stadt idealisiert dargestellten Hohburger Berge, von denen der nordöstlich der Stadt in der Lüptitzer Flur gelegene Spitzberg besonders hervorgehoben wurde. Zwischen 1880 und 1928 wurde hier ein Steinbruch betrieben und Quarzporphyr gewonnen. Auf der Ansichtskarte ist der Berg vergleichbar seiner ältesten bekannten Darstellung aus dem Jahr 1785 noch in seiner unberührten Form zu sehen, erinnert damit einen Zustand, den der Wanderer zu jenem Zeitpunkt bereits nicht mehr vorfand. Abgesehen davon wird auch mit den Wassersportmöglichkeiten auf der Mulde geworben: Rudern wurde in Wurzen seit 1889 zu jener Zeit bereits in verschiedenen Clubs betrieben.
Der Inhalt des Kartentextes steht in keinem Bezug zum Kartenmotiv, sondern berichtet von einem Besuch auf einem im Familienbesitz derer von Schönberg befindlichen Gut in Niederzwönitz (Erzgebirgskreis):
Lieber Ferdinand!
Herzlichen Dank für Deine Glückwünsche zu meinem Geburtstag.
In Niederzwönitz war es herrlich
auch haben wir grosse Spaziergänge
unternommen nur schade daß Du
nicht mit sein konntest.
Der Bau ist noch lange nicht fertig
so daß Du noch alles beim alten finden
wirst wenn Du her kommst.
herzlichen Gruß Else Krietsch.
Literatur:
Adreßbuch für Dresden und Vororte, Dresden 1917, S. 694.