Gedenktafel für Kolonialsoldaten aus Wurzen
ca. 1910
poliertes schwarzes Titangestein
100 cm x 70 cm
Dieses Denkmal im Kulturhistorischen Museum Wurzen wurde vermutlich um 1910 am alten Rathaus (die heutige Bibliothek) angebracht. Wann genau und wie die Tafel montiert wurde, ist noch nicht geklärt ‒ die Suche nach Hinweisen in den Quellen wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Sicher ist, dass die Gedenktafel die Namen gefallener Wurzener Soldaten nennt, die in Orten des heutigen Namibias ums Leben gekommen sind. Wenn man diese Orte im Internet nachschlägt, gibt es keine Treffer. Die Orte sind aber auf historischen Karten zu finden. Wie kann das sein?
Am 28. März 1884 ‒ vor genau 141 Jahren ‒ wird die "Gesellschaft für Deutsche Kolonisation" gegründet. Damit werden bereits zuvor bestehende koloniale Bestrebungen institutionalisiert: Deutsche, protestantische Missionare sind schon lange vor 1884 in Afrika und Asien aktiv. Sie missionieren dabei nicht nur im Ausland, sondern verbreiten auch in bürgerlichen Kreisen des Deutschen Kaiserreiches politische Botschaften. Dazu zählt die Vorstellung, dass ihre Arbeit eine "Zivilisierungsmission" sei. Basierend auf rassistischen Vorurteilen und fehlendem kulturellen Verständnis wird eine angeblich deutsche Überlegenheit propagiert. Daraus wird eine „koloniale Mission“ zur „kulturellen Verbesserung“ und „Erziehung“ der indigenen Völker abgeleitet. Das Hauptinteresse an weltweiten Kolonien haben vor allem Kaufleute und Reeder, z.B. aus Bremen und Hamburg. Über Jahrzehnte hinweg bauen sie ein globales Netz von Handelsbeziehungen auf. Um 1880 herum wickeln Hamburger Kaufleute ein Drittel ihres gesamten Überseehandels in Westafrika ab ‒ ein Geschäft, das oft meist zum einseitigen Vorteil der Deutschen verläuft.
Die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika ist ebenso wie die anderer europäischer Kolonialmächte von der blutigen Besetzung großer Gebiete gekennzeichnet. Darauf folgt eine rücksichtslose Ausbeutung indigener Arbeitskräfte sowie des ökonomischen Potenzials der Rohstoffe des jeweiligen Landes. Die zu diesem Zweck angewandte „Erziehung“ indigener Gruppen war für diese diskriminierend, weil sie als „minderwertig“ betrachtet und mit äußerster Brutalität behandelt werden. Um die Gebietsansprüche des Kaiserreichs zu sichern, werden zudem Siedler sowie Soldaten (sogenannte „Schutztruppen“) entsendet ‒ v. a. nach Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia). Darunter zählen auch die Wurzener Soldaten, an die dieses Denkmal erinnert.
Wie brutal die Deutschen Besatzungstruppen vorgegangen sind, zeigt der Versuch der Nama und Herero im heutigen Namibia, sich gegen die beschriebene Politik zu wehren. So ziehen Nama und Herero zwischen 1904 und 1908 gegen das Kaiserreich in den Krieg. Der General der „Schutztruppen“ reagiert gegen den Befreiungskrieg der beiden Bevölkerungsgruppe mit einem Befehl zum Völkermord: „Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf.“ Dieser Befehl wird durch die Kolonialtruppen erbarmungslos umgesetzt. Es werden ca. 80.000 indigene Menschen getötet ‒ etwa zwei Drittel aller Herero und die Hälfte der Nama. Am Völkermord beteiligen sich auch Wurzener ‒ darauf verweist diese Gedenktafel. Und die Tafel ist zugleich ein Hinweis darauf, zu welch hohem Grad der Vernichtungsbefehl ausgeführt wird: Die genannten Orte wie „Kanus“ sind nur noch auf historischen Landkarten zu finden. Vielleicht ein Indiz dafür, dass diese Orte durch die „Schutztruppen“ ausgelöscht worden sind. Das ist allerdings eine offene Frage für zukünftige Forschungen. Belegt ist, dass der Vernichtungsbefehl und das brutale Vorgehen selbst im Kaiserreich hoch umstritten sind. Zwar wird der Vernichtungsbefehl nach einigen Wochen zurückgenommen, das ändert jedoch nichts an der Verantwortung des Kaiserreichs für die zu diesem Zeitpunkt bereits getöteten 80.000 Menschen. Diese Opfer verschweigt der Gedenkstein. Stattdessen ehrt er die gefallenen Wurzener für ihren Dienst „für das Vaterland“.
Objekte wie diese zeigen, dass die Akteure des Kolonialismus und Erinnerungen an diese im gesamten Kaiserreich zu finden sind. Die Aufarbeitung kann folglich nicht nur in großen Museen wie dem Berliner Humboldtforum oder im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig stattfinden: Sie braucht auch einen Platz in Wurzen.
Literatur
Benjamin, Ziemann. „Deutschland in der Welt“. bpb.de, 13. April 2016. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/das-deutsche-kaiserreich-1871-1918-329/224747/deutschland-in-der-welt/.
Bundeszentrale für politische Bildung. „Völkermord an Herero und Nama: Abkommen zwischen Deutschland und Namibia“. bpb.de, 22. Juni 2021. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/335257/voelkermord-an-herero-und-nama-abkommen-zwischen-deutschland-und-namibia/.
Zimmerer, Jürgen. „Widerstand und Genozid: Der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Herero (1904–1908)“. bpb.de, 20. Juni 2014. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/186874/widerstand-und-genozid-der-krieg-des-deutschen-reiches-gegen-die-herero-1904-1908/.
Quellen
Afrika, Staatenkarte in: Diercke-Schulatlas für höhere Lehranstalten, 1913. Ed. von Archivführer zur deutschen Kolonialgeschichte, Karten der Kolonialzeit. Stand: 04.04.2025, zuletzt abgerufen: 22.04.2025, https://map.archivfuehrer-kolonialzeit.de/#map=5.41/1664098.16/-2754373.88/0.
Gedenktafel für Kolonialsoldaten aus Wurzen.